Perspektivwechsel an Bord

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Blick aus dem Fahrstand eines 86 Meter Motorgüterschiffes auf dem Duisburger Vinckekanal - die Dimensionen gegenüber einem Sportboot sind deutlich anders. (Foto: C. Schneider)

Wenn Sportbootskipper an Bord eines Motorgüterschiffes gehen, verschiebt sich die Perspektive nicht nur optisch.

Hart Ruderlage, und halbe Voraus, um das Heck herum zu bekommen – vorne etwas Unterstützung mit dem Bugstrahler – die Uferböschung voraus kann ich bestenfalls erahnen. 86 Meter lang ist mein Motorgüterschiff „WESER“, das jetzt beladen einen Tiefgang von 2,80 Meter hat und 2500 Tonnen Verdrängung. Das Vorschiff ist hier vom Fahrstand aus in weiter Ferne ganz vorne. Der Blickwinkel voraus ist also deutlich verkürzt, und was direkt vor mir passiert, kann ich bestenfalls erahnen.

Unser Binnenschiff ist damit noch eines der Kleineren, das hier auf dem Rhein vor der Ruhrmündung bei Duisburg unterwegs ist, und gerade bei dem Versuch, im Strom zu drehen, mächtig quer treibt. Ich lege den Hebel auf den Tisch, der Strom hat uns mehr als gedacht nach achtern versetzt und nun ist die Böschung hinter uns plötzlich gefährlich nah.

Grundsitzer auf dem Rhein

„Rabobbel, rabobbel, rabobbel, rabobbel…“ die hubraumreiche Antriebsmaschine quittiert den Befehl des Fahrhebels mit eher trägem Hochdrehen, um die maximal 1000 kW Leistung (ca. 1360 PS) abzurufen und es tut sich … nichts! Das Schiff treibt weiter achteraus und das Heck dreht nur quälend langsam. Auch der Blick auf den Wendeanzeiger, der mir darüber Auskunft gibt, wie schnell das Schiff dreht, trägt nicht zur Beruhigung bei.

Inzwischen ballert auch der Bugstrahler mit voller Kraft, um den Bug in den Strom zu drehen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis die Kräfte des Antriebs und des Bugstrahlers ihre volle Wirkung entfalten. Kein Vergleich selbst mit einem großen Stahlverdränger aus der Sportschifffahrt. Ist die Trägheit der Masse aber erst einmal in Fahrt, ist das Aufstoppen des Schiffes oder eine Korrektur des aktuellen Kurses mehr eine theoretische Möglichkeit als eine spontan abrufbare Reaktion. Kommt dann noch der Einfluss von Strom und/ oder Wind zum Tragen, reduziert sich diese Möglichkeit unter Umständen zum frommen Wunsch mit Stoßgebet.

So wie in unserem Fall: RAAAAAP! … Das wars! Das Heck schrammt über die Böschung. Wir sitzen achtern fest. Vermutlich sind auch das Ruder und der Propeller hinüber. Die Antriebsmaschine läuft immer noch AK voraus, doch der alte Vater Rhein schiebt unerbittlich gegen an, alle Bemühungen verlachend, aus eigener Kraft hier wieder freizukommen.

Nun ist die Stunde von Rainer Tadsen gekommen. Nein, der ist nicht etwas Schlepper-Kapitän oder Einsatzleiter eines Havariekommandos, sondern Ausbilder am Schiffer-Berufskollegs RHEIN, in Duisburg. Mit ein paar Mausklicks am Computer seiner „Revier-Leitzentrale“ hat er unser Motorgüterschiff „WESER“ im Nu wieder in der Mitte des Rheins platziert, und die Reise kann weitergehen.

Glücklicherweise habe ich kein reales Binnenschiff auf dem Rhein geschrottet, sondern lediglich eine erste Lektion unter der Überschrift: "Ein richtiges Schiff ist kein Sportboot" gelernt. Der Fahrstand meiner "WESER" ist einer von fünf im Binnenschiffsimulator des Schiffer-Berufskollegs RHEIN, der Ausbildungsstätte für Binnenschiffer. Wir sind mit zehn Teilnehmern aus den Reihen verschiedener Vereine im DMYV zu Gast, um einmal selbst zu erfahren, was es heißt, ein Binnenschiff mit ein paar tausend Tonnen Verdrängung zu fahren. Initiiert hat das Ganze Dr. Marcus Schüler, seines Zeichens Präsident des Landesverbands Nordrhein-Westfalen im DMYV über seine Kontakte zur Binnenschifffahrt.

(v.li:) Ausbilder Georg Ebert und Rainer Tadsen erklären mit Dr. Marus Schüler vom DMYV Landesverband NRW den Ablauf der Veranstaltung.
Rainer Tadsen erklärt den Seminar-Teilnehmern den Fahrstand und die Bedienelemente im Simulator. 5 realistische Fahrstände stehen im Schiffer-Berufs Kolleg RHEIN zur Verfügung.
Realistische Ausbildungsbedingungen am Schiffer-Berufskolleg RHEIN

Hier im Schiffer-Berufskolleg RHEIN werden üblicherweise Schiffsjungen und Mädchen ausgebildet und machen zum Abschluss ihrer Ausbildung ihr Patent. Zweimal in der Woche üben die angehenden Binnenschiffer hier das Fahren, wenn sie ihre Unterrichtseinheiten am Rhein-Schiffer Kolleg absolvieren. Die Fahrsimulatoren bieten die Möglichkeit, unterschiedliche Verkehrssituationen, Manöver, Wettersituationen, Schiffstypen usw. unter realitätsnahen Bedingungen zu testen, zu trainieren und zu üben. Das Ganze ist so realistisch, dass sogar Prüfungen am Simulator abgenommen werden können.

Der erfahrene Binnenschiffer und Patentinhaber Rainer Tadsen, der u.a. lange Jahre auf dem Schulschiff „RHEIN“ die Ausbildung der folgenden Generationen geleitet hat, wird dabei von Georg Ebert unterstützt. Der erfahrene Binnenschiffskapitän bringt Berufserfahrung aus der europaweiten Fracht- und Passagierschifffahrt auf Rhein und Donau sowie der Frachtfahrt u.a. auf den engen französischen Kanälen mit.

Unwissenheit + "Zeit ist Geld" = Gefahr

Die beiden Ausbilder wissen: Oft ist es Unwissenheit, oder die Unkenntnis der Vorschriften und Signale, die Missverständnisse erzeugen oder zu gefährlichen Situationen auf dem Wasser führen. So werden z.B. nur wenige Sportschiffer ahnen, dass die beladenen Binnenfrachter abhängig vom Wasserstand zuweilen nur mit wenigen Zentimetern Wasser unter dem Kiel unterwegs sind. Auf dem Rhein und anderen Flüssen gibt’s sogenannte „schlechte Stellen“. Dort liegen Felsen oder haben Sände die Wassertiefe der Fahrrinne eingeschränkt. Ein erfahrener Binnenschiffer kennt diese Stellen genau und hat die Beladung und den Trimm seines Schiffes exakt darauf abgestimmt.  Ein schnell überholendes größeres Sportboot, das nicht genug Abstand hält, kann hier einem Binnenfrachter das letzte bisschen Wasser unter dem Unterwasserschiff wegsaugen und so dessen Grundberührung verursachen.

Oft ist es nicht etwa Rücksichtslosigkeit der Binnenschiffer, die sie dazu verleitet, stur ihren Kurs zu halten und sich scheinbar wenig darum zu scheren, was rechts und links von ihnen passiert, sondern schlicht das Fehlen der Möglichkeiten, ihre großen, trägen Fahrzeuge in engen und flachen, ggf. noch strömungsreichen Gewässern zu manövrieren, ohne nicht sich und andere in Gefahr zu bringen. Zudem herrscht insgesamt in der Binnenschifffahrt ein großer wirtschaftlicher Druck, die Termine zu halten. Zeit ist Geld und die Termine sind eng gesteckt. Die Berufsschiffer stehen dafür ein. Sportskipper, die in ihrer Freizeit unterwegs sind, sollten dies daher berücksichtigen und den Berufsschiffen im Zweifel den Vorrang und immer genug Raum zum Manövrieren lassen. Es sind auch Ihre Güter, die hier transportiert werden.

Was z.B. das Kurssignal der „Blauen Tafel“ bedeutet, sollten Sportschiffer wissen. Auch wenigstens die gängigsten Schallsignale sollten gekannt und gedeutet werden können. „Im Zweifelfall, ist es aber nie verkehrt, einmal zum Funkgerät zu greifen, und sich kurz abzusprechen“, so Georg Eberts Appell an die Teilnehmer des Simulator-Trainings.

Austausch statt Belehrung

Doch auch andersrum ist der Austausch willkommen, und beide Ausbilder sind sehr daran interessiert, von den Teilnehmern zu erfahren, wie es aus ihrer Sicht im Verhältnis zwischen der Sport- und Berufsschifffahrt aussieht, um dies an ihre Auszubildenden weiterzugeben.

Erfreulicherweise stellt sich das aus Sicht der ebenfalls nicht unerfahrenen teilnehmenden Sportschipper im Großen und Ganzen entspannt dar. Und bis auf einzelne Vorkommnisse mit Frachtschiffen, wie z.B. mit drehendem Propeller in den Schleusenkammern, die dann im wahrsten Sinne für Wirbel und damit für Unwillen und auch Gefährdung der Bootscrews sorgten, bescheinigen die Teilnehmern den meisten Berufskippern einen kameradschaftlichen Umgang. Nicht Belehrung, sondern der Austausch steht im Mittelpunkt des Seminars. Entsprechend entspannt ist die Atmosphäre während der ca. vierstündigen Veranstaltung.

Die Fahrstände im Simulator entsprechen mit ihren Bedienelementen und Funktionalitäten den Originalen an Bord eines Binnenfrachtschiffes.
Auf dem Rhein bei Duisburg in der Bergfahrt. Die Dimensionen und die verzögerten Reaktionen der großen Frachtschiffe sind für die Sportbootfahrer erstmal ungewohnt.
An „Bord“ auf Rhein und Ruhr

Dann aber geht’s „an Bord“ und die Teilnehmer besetzen die Fahrstände. Unterschiedliche Szenarien haben die Ausbilder für uns und unser Binnenschiff programmiert, damit wir erfahren können, was es heißt, so einen Zossen im Revier zu fahren.

Spaßiger und nützlicher Nebeneffekt: Alle fünf Schiffsbesatzungen begegnen sich im selben Revier und zusätzlich werden über den Computer noch weitere Schiffe eingespielt, sodass die Verkehrssituationen realistisch sind. So erzeugt zum Beispiel ein etwas nerviges, schnelles Sportboot, dessen Kurs und Absichten nicht immer eindeutig sind, entsprechend Schweiß auf der Stirn der „Simulations-Binnenschipper“. Ausbilder Rainer Tadsen hat in seiner „Revier-Leitzentrale“ im Nebenraum die Gesamtübersicht.

Das Ganze ist erstaunlich realitätsnah: Egal ob Sonnenschein, Nacht, Nebel, Regen oder Schneefall, alle möglichen Wettersituationen können simuliert werden, und damit auch die unterschiedlichsten Sichtverhältnisse. Radar und Kartenplotter sind plötzlich kein nettes Gimmick mehr, sondern wichtige Navigationsmittel und auch der Funkverkehr zwischen den „Schiffen“ funktioniert.

Nachdem wir also am Duisburger Containerhafen vorbeigefahren sind, an Steuerbord zur Geschäftsstelle des DMYV hinübergegrüßt haben, durch den Vinckekanal und unter der Friedrich-Ebert-Brücke den Rhein erreicht haben, gelingt das Wendemanöver im Strom beim zweiten Versuch dann doch noch.

Eine weitere Übung besteht dann darin, in eine Schleuse einzufahren und das Schiff dort auf den Punkt aufzustoppen. Unterdessen hat man sich an die verzögerte Reaktion des Schiffes etwas gewöhnt und es gelingt, entsprechend vorsichtig in die Schleusenkammer einzufahren. In der Realität gäbe es jetzt wahrscheinlich hämische Kommentare der Schleusenwärter und die Frage, ob man denn in dieser Woche noch schleusen wolle. Denn Vorsicht ist zwar die Mutter der Porzellankiste, aber weitergehen soll es ja auch. Immerhin: Wir zirkeln den Zossen zentimetergenau in die enge Schleusenkammer und auch der „Hintermann“, dessen Skipper im Simulator im Nachbarraum sitzt, passt noch eben gerade mit hinein.

Perspektivwechsel

Bei der Ausfahrt wird’s dann eng. Im Kanal hinter der Schleuse warten bereits zwei andere Simulator-Kollegen mit ihren Binnenschiffen, um in die Schleuse einzufahren. Hier ist Augenmaß gefragt, um bei den begrenzten Platzverhältnissen sicher aneinander vorbeizukommen. Dummerweise fängt es jetzt auch noch an zu regnen, der Wind nimmt zu und kommt seitlich und die Sicht wird schlecht. Zu allem Überfluss rauscht auch noch ein Sportboot mit schneller Fahrt zwischen den Binnenfrachtern durch. „Der muss jetzt selbst zusehen, wie er klarkommt.“ Plötzlich wird einem klar, dass der Wechsel auf die Brücke des Frachtschiffs auch die Perspektiven in der Denkweise verändert und sich den Gegebenheiten anpasst. Ein unberechenbares und rücksichtslos agierendes Sportboot wird da vom Verkehrsteilnehmer schnell zum Störfaktor. Die Reaktionsmöglichkeiten am Bord des Frachtschiffs sind so beschränkt, dass man stur seinen Kurs hält. Zur Not gibt’s ja noch das Signalhorn!

Einfahrt in die Schleusenkammer. Plötzlich ist die Einfahrt eng und die Kammer ziemlich kurz!
Geschafft! Ohne Bruch und Schaden gelingt die Einfahrt in die Schleuse.
Schlechte Sicht und entgegenkommender Verkehr bei der Ausfahrt aus der Schleuse. Hier ist Konzentration gefordert und ggf. eine Absprache über Funk mit anderen Schiffen sinnvoll.
In der „Praxis“

Nun steht die letzte Übung an: In einem engen Hafenbecken an der Backbordseite soll das Schiff gedreht werden. Der Platz ist u.a. durch weitere Schiffe, die an der Kai festgemacht sind, eingeschränkt.

Ich fahre langsam an dem Hafenbecken vorbei und stoppe das Schiff auf. Mit halber Kraft rückwärts und Ruderlage backbord, sowie mit Unterstützung des Bugstrahlers, drehe ich langsam rückwärts in das Hafenbecken ein. Als ich das Schiff ungefähr mittig im Hafenbecken positioniert habe, lege ich hart Ruder Steuerbord, gebe Maschine halbe voraus, um das Heck nach Backbord zu drehen und unterstütze vorne weiter mit dem Bugstrahlruder.

Allmählich „hat man es im Hintern“, was passiert, wenn man die Drehzahl der Hauptmaschine erhöht, einen Stoß mit dem Bugstrahler gibt, oder das Schiff wieder ein paar Meter nach vorne korrigiert, um achtern genug Raum zu haben, um das Heck zu drehen. Das Ganze macht jetzt wirklich Spaß und hat doch mit dem Fahren eines Sportbootes wenig zu tun, auch wenn die grundsätzlichen Manöver im Ablauf natürlich identisch sind – bezogen auf ein Schiff mit einer Maschine und Wellenantrieb.

Was sich so einfach anhört, dauert in der Praxis dann ca. 10 Minuten bis der Bug in die Gegenrichtung zeigt. Ich atme durch, Ruder mittschiffs, es könnte jetzt weitergehen. „Sauberes Manöver!“ lobt Ausbilder Georg Ebert und dass die Anspannung fällt, und das Lob des erfahrenen Binnenschiffers runter geht wie Öl, sind auch Zeichen dafür, wie realitätsnah die Simulation ist.

In seiner "Revierleitzentrale" hat Rainer Tadsen die Übersicht und kann ggf. auch die einzelnen Teilnehmer per Funk ansprechen.
Wichtige Instrumente: Wendeanzeiger, der anzeigt, wie schnell das Schiff dreht, Speedo, Drehzahlmesser und Ruderlage-Anzeiger, sowie Kompass und Windmesser. Darunter Plotter und Radar.
Erfahrungshorizonte erweitern - gute Ausbildung ist der Schlüssel

In der Abschuss-Diskussion sind alle Teilnehmer begeistert. Jeder bestätigt, hier seinen Erfahrungshorizont erweitert zu haben und Manches besser zu verstehen, was die Berufsschifffahrt betrifft. Zehn erfahrene Sportbootfahrer, werden die Berufsschifffahrt in der Praxis in Zukunft mit anderen Sinnen wahrnehmen und sich entsprechend verhalten.

Auch die Ausbilder ziehen ein positives Resümee: Rainer Tadsen bestätigt: „Der Austausch mit den Sportschiffern ist auch für uns interessant und klärend. Auch wir verstehen jetzt manche Dinge besser und werden das in die Ausbildung mit einfließen lassen. Wir sind der Überzeugung, dass dieser Austausch ausgebaut werden sollte.“

Denn schließlich sind wir alle Partner auf dem Wasser. Und in einem waren sich alle einig: Eine gute Ausbildung und das Erlernen der guten Seemannschaft sind entscheidend, um die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf den Wasserstraßen zu gewährleisten.

Exklusives Angebot für DMYV-Vereinsmitglieder

Mitglieder aus dem DMYV angeschlossenen Vereinen, haben die exklusive Möglichkeit, selbst zu erleben, wie sich die Binnenfahrt aus der Sicht des Berufsschiffers darstellt. Sie können sich unter dem Betreff „Binnenschiff-Simulator“ an den Landesverband Motorbootsport Nordrhein-Westfalen im Deutschen Motoryachtverband wenden, der bei ausreichender Teilnehmerzahl Termine gegen eine Unkostenbeteiligung organisiert.

(Text + Fotos: C. Schneider)

Kontakt:

Geschäftsstelle des
DMYV-Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.
Ahsener Allee 3
45711 Datteln

E-Mail: info(at)dmyv-lv-nw.de 
www.dmyv-lv-nw.de 


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